Osnabrück steht auf: Was bleibt nach der Demo?
Osnabrück steht auf: Was bleibt nach der Demo?
Für die Osnabrückerin Ulrike S. ist es eine Premiere: „Ich bin zum ersten Mal auf einer Demo“, erklärt die 68-Jährige, während sie den Rednern auf der Bühne im Schlossgarten folgt. „Aber das liegt daran, dass es bislang nicht nötig war. Jetzt ist es das aber“, sagt sie. Zusammen mit rund 25.000 offensichtlich Gleichdenkenden setzt die Seniorin am letzten Januar-Wochenende ein Zeichen gegen Rassismus. Es brechend ist voll rund um die ehemalige Bischofsresidenz.
Das Erstaunlichste und Wichtigste an diesem Samstagmorgen (28.01.2024): Die Alters- und Sozialstruktur der Demonstrierenden. Neben vielen Familien mit Kindern, Jugendlichen sind etliche Ältere dabei – gefühlt kommen sie aus allen gesellschaftlichen Schichten. „Ich hätte nicht gedacht, dass so viele kommen. Das hat mich wirklich überrascht“, erklärt eine junge Mutter, die mit ihren beiden Söhnen etwas abseits des Pulks steht. Ihr neunjähriger Filius weiß offensichtlich auch, warum er hier ist. „Weil sonst die Hälfte meiner Fußballmannschaft bald nicht mehr mit mir spielen darf“, erklärt der Nachwuchskicker im BVB-Trikot.
Es ist schwer, kurz nach Beginn der Veranstaltung überhaupt noch auf das Gelände zu gelangen. Die Sicherheitsposten haben schon ab 11 Uhr die Instruktionen bekommen, nur noch Menschen in den abgesperrten Bereich zu lassen, wenn andere ihn verlassen. Das ist den meisten allerdings egal, ihnen geht es an diesem Tag um die schlichte Präsenz und eine klare Botschaft. „Natürlich möchte ich zeigen, dass mir der Rechtsruck in Deutschland nicht egal ist“, erklärt Andre W., der auch ein Plakat angefertigt hat. „Eigentlich wollte ich das gar nicht machen, weil man schnell als Linksradikaler eingestuft wird. Aber dann habe ich mir gesagt: Scheiß drauf, was die anderen denken – tu es für dich.“ Diese Angst teilten vermutlich einige auf der Kundgebung, ohne es laut auszusprechen. Aber sie wurden auf der friedlichen und dennoch deutlichen Kundgebung eines Besseren belehrt. Es gibt auch kaum Sprechchöre abgesehen von ein paar gut gelaunten VfL-Fans, die sich auf das Duell mit dem SC Paderborn einstimmen.
„Es war gut, hierher zu gehen. Ich sehe, dass fast alle Leute hier aus der Mitte der Gesellschaft kommen“, meint ein älterer Mann.
Über den Makel, dass viele der Rednerinnen und Redner in etwas weiterer Entfernung kaum noch zu verstehen sind, können die meisten an diesem sonnigen Tag hinwegsehen. Die Stimmung ist gut. Die Frage, die in keinem Gespräch fehlt: Was bleibt von den Protesten für die Zukunft hängen? „Wenn es sein muss, komme ich jedes Wochenende hierher“, erklärt Melanie aus Hagen a.T.W. Peter D. aus Osnabrück hingegen ist skeptisch: „Ich weiß es nicht. Ich habe schon die Befürchtung, dass das hier alles schnell wieder verpufft.“ Auch Boris Pistorius, der von der Menge als einer der Hauptredner am lautesten und beinah frenetisch gefeiert wird, stellt sich in seiner Rede diese Frage. Für ihn geht es vor allem darum, in Zukunft noch mehr Zivilcourage zu zeigen. Egal, ob in der Familie, mit Freunden, beim Sport oder am Arbeitsplatz – die Menschen müssten Farbe bekennen und sich gegen rechtsradikale Äußerungen und Ausgrenzung klar zur Wehr setzen. Denn: „Schweigen ist ab heute vorbei! Es reicht!“
Die gesamte Story sowie ein Interview mit Prof. Dr. Christoph A. Rass (Professor für Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung an der Uni Osnabrück) lest ihr in unserer Online-Ausgabe!